Loading...

Ad-hoc Publizität und was sie mit dem teuersten TV-Beitrag der Schweizer Wirtschaft zu tun hat

Author
Yasemin Diethelm (IRF Reputation)
Sep 25, 2023

Dieser Beitrag ist eine Gemeinschaftsproduktion von Yasemin Diethelm, IRF Reputation und Kilian Maier, Interaction Partners und wurde in gleicher Form auf dem IRF Blog veröffentlicht 

Verfügt man über einen Informationsvorsprung, bedeutet das an der Börse viel Geld. Ein Unternehmen muss deshalb sofort nach aussen kommunizieren, wenn Entscheidungen getroffen und Massnahmen veranlasst wurden, welche den Aktienkurs des Unternehmens über die üblichen Marktschwankungen hinausbewegen könnten. Hier kommen die Regelungen der Ad-hoch-Publizität der Schweizer Börse zum Zug. Sie stellen sicher, dass alle Investoren mit gleich langen Spiessen agieren können.

Was müssen Unternehmen tun, um diese Regelungen einzuhalten? Es ist wichtig, dass sich Emittenten fundiert damit auseinandersetzen und die rechtlichen Grundlagen kennen. An dieser Stelle sei bereits auf die Tabelle am Ende des Beitrags verwiesen. Diese zeigt eindrücklich, was passiert, wenn Ad-hoc-Regelungen verletzt und von der SIX Exchange Regulation (SER) gebüsst werden. Sie zeigt zudem, was der «teuerste TV-Beitrag der Schweizer Wirtschaft» mit der Ad-hoc Publizität zu tun hat.

Entstehung und Ziele der Ad-hoc Publizität

Börsenkotierte Firmen haben viele Anforderungen einzuhalten, um die Kotierung aufrecht zu erhalten. Dazu gehört auch die Pflicht zur Ad-hoc Publizität, die seit 1996 in Art. 53 des Kotierungsreglements der Schweizer Börse verankert ist. Sie besagt, dass «Ereignisse, die den Kurs einer Aktie über die handelsüblichen Schwankungen hinaus verändern könnten (kursrelevante Tatsache), von kotierten Unternehmen sofort und klar zu kommunizieren sind. Das bringt alle interessierten Marktteilnehmer auf denselben Informationsstand.» Der Aufschub dieser Pflicht ist bei kumulativer Erfüllung gewisser Bedingungen möglich und in Art. 54 des Kotierungsreglements geregelt.

Was ist aber eine kursrelevante Tatsache? Die Antwort darauf ist häufig nicht eindeutig. Auslöser ist jeweils eine Tatsache, die noch nicht öffentlich ist und den Aktienkurs bei Bekanntwerden voraussichtlich erheblich beeinflussen kann. Wichtig: Per-se Tatbestände gibt es keine. Einzig die Publikation der Geschäfts- und Zwischenberichte (inklusive Quartalsberichte) unterliegen immer der Ad-hoc Publizität. Historisch gehörten zum Beispiel auch Veränderungen in der obersten Führungsstruktur dazu.

Auf der Website der SER werden mögliche Beispiele kursrelevanter Tatsachen genannt, darunter Fusionen, Restrukturierungen, Kaufangebote, CEO-Wechsel oder Änderungen im Geschäftsverlauf. Gleichzeitig wird betont, dass diese nicht per se kursrelevant sein müssen. Vielmehr empfiehlt die SER, sich als Unternehmen jeweils folgende Frage zu stellen:

«Würde ein verständiger Marktteilnehmer aufgrund der neuen, noch nicht veröffentlichten Tatsache in seinem Entscheid das betreffende Wertpapier [unseres Unternehmens – Anm. IRF] zu kaufen, zu verkaufen bzw. weiterhin zu halten, voraussichtlich beeinflusst werden, weil er glaubt, dass der aktuelle Kurs diese Tatsache unzureichend reflektiert?»

 


Ist die Frage der Kursrelevanz einmal beantwortet, führt dies für den weiteren Prozess zu folgender Entscheidungskaskade:

Was bedeutet dies nun konkret für die Kommunikation des kotierten Unternehmens?

Der Emittent trägt die Verantwortung für die zeitgerechte und inhaltlich korrekte Erfüllung der Ad-hoc-Publikationspflicht. Die Regelungen beziehen sich auf Form, Timing und Vertriebskanäle:

 

Form

Timing

Kanäle

  • Medienmitteilung mit deutlicher Kennzeichnung (Flagging): «Ad hoc-Mitteilung gemäss Art. 53» in allen Sprachen
  • Ad hoc-Filterfunktion der Mitteilungen auf Website in allen Sprachen
  • Publikation, sobald der Emittent von der kursrelevanten Tatsache in ihren wesentlichen Punkten Kenntnis hat
  • Ausserhalb der handelskritischen Zeiten (90 Minuten vor Handelsbeginn oder nach Handelsschluss) …
  • … oder ausnahmsweise später / während der Handelszeiten bei telefonischer Benachrichtigung der SER und Zusendung der Tatsachen an SER 90 Minuten vor geplanter Veröffentlichung unter allfälliger Handelseinstellung
  • Breite Öffentlichkeit (möglichst zeitgleich an alle Kanäle)
  • mindestens zwei verbreitete, elektronische Finanznachrichtendienste (z.B. Bloomberg, Reuters, AWP oder SIX Financial Information)
  • mindestens zwei Schweizer Medien von nationaler Bedeutung (z.B. NZZ, TagesAnzeiger)
  • E-Mail-Verteiler via Website-Registrierung (Push Service; Link zum Registrierservice muss der SER bekannt sein); jede Interessentin / jeder Interessent
  • Website des Emittenten
  • SIX Exchange Regulation / Connexor (alle Sprachen)

 

Abbildung Timing Ad-hoc Mitteilung (www.ser-ag.com)

 

 

All dies verlangt nach einer auf die Einhaltung dieser Regeln ausgerichteten Technologie zur zeitgleichen Verbreitung der relevanten Informationen auf den erforderlichen Vertriebskanälen. Spezialisierte Dienstleister wie beispielsweise Interaction Partners übernehmen diesen wichtigen Teil (vgl. dazu den Kasten am Ende dieses Beitrags).

Und was, wenn das mit der Ad-hoc Publizität vor Börseneröffnung schiefläuft?

Die Entscheidung über die Kursrelevanz einer Tatsache, ist nicht immer einfach. Ein Unterlassen der Publikation kann hohe Bussen nach sich ziehen. Gleichzeitig kann auch eine Tatsache, die fälschlicherweise als Ad-hoc Mitteilung verteilt wird, gebüsst werden. Nämlich dann, wenn die Ad-hoc Publikation als reines Marketinginstrument missbraucht wird.

Für eine Verletzung der Ad-hoc Publizitätspflicht in Bezug auf Form, Timing und Adressaten erhebt die SER jeweils Bussen bis maximal CHF 1 Mio. Dass dies keine leere Sanktionsandrohung ist, zeigt ein Blick auf nachfolgende Liste:

Abbildung: SER-Verfahren und Bussen zur Ad-hoc Pflicht (seit 2019):

Datum

Emittent

Verfahren

Busse in CHF

15.09.2023

Walliser Kantonalbank

eröffnet

 

22.08.2023

Perrot Duval Holding

 

25’000

03.08.2023

Airesis

 

50’000

14.07.2023

Barry Callebaut

eröffnet

 

13.06.2023

Relief Therapeutics

 

125’000

19.05.2023

Kinarus Therapeutics

eröffnet

 

19.05.2023

Aevis Victoria

eröffnet

 

12.5.2023

Perrot Duval

eröffnet

 

21.04.2023

Leclanché

eröffnet

 

31.03.2023

Highlight Entertainment

eröffnet

 

17.03.2023

Orell Füssli

eröffnet

 

27.01.2023

Alcon

eröffnet

 

12.01.2023

Clariant

eröffnet

 

06.01.2023

Swissquote

 

75’000

22.12.2022

Airesis

eröffnet

 

07.10.2022

Spice Private Equity

eingestellt

 

25.08.2022

Interroll

 

100’000

2.06.2022

Swissquote

eröffnet

 

24.05.2022

Poenia

eröffnet

 

1.04.2022

Spice Private Equity

eröffnet

 

31.08.2021

U-blox

 

25’000

10.06.2021

Relief Therapeutics

eröffnet

 

4.03.2021

Interroll

eröffnet

 

18.02.2021

CI Com

 

22’000

27.11.2020

Cicor Technologies

eingestellt

 

16.10.2020

Addex Therapeutics

eingestellt

 

19.09.2019

Clariant

 

750’000

 

Die Details zu den einzelnen Ad hoc-Publizitätsverfahren und -sanktionen können in den Medienmitteilungen und detaillierter (meist anonymisiert) unter Sanktionen auf der Website der SER eingesehen werden. Meist spielte der Faktor «Zeit» die ausschlaggebende Rolle.

Das wohl berühmteste Beispiel einer Ad-hoc-Busse ist jenes zu Clariant. Mit CHF 750'000 handelt es sich um die bislang höchste Busse für einen Ad-hoc-Fall. Grob zusammengefasst ging es darum, dass Clariant am 22. Mai 2017 mittels einer Medienmitteilung die Vereinbarung der Fusion mit Huntsman Corporation bekanntgegeben hat. Bereits am 19. Mai 2017 hatte Clariant jedoch dem Schweizer Fernsehen im Hinblick auf die Ausstrahlung eines Beitrages am Tag der Ankündigung in der Sendung ECO kursrelevante Informationen weitergegeben. Im Beitrag war der damalige CEO zu sehen, wie er im Zürcher Hotel Widder mit der Huntsman-Seite den Deal besprach. Die Fusion wurde aber erst am nächsten Tag verkündet. So wurde der Beitrag aufgrund der Busse zum teuersten TV-Beitrag in der Geschichte der Schweizer Wirtschaftsberichterstattung.

Empfehlungen zur Einhaltung der Ad-hoc Richtlinie

Bei Ad-hoc Abwägungen kann das Verhalten der Marktteilnehmer nie mit letzter Sicherheit vorhergesehen werden und, wo gearbeitet wird, passieren Fehler. Umso wichtiger ist es, dass der Emittent gut vorbereitet ist. Unsere Empfehlungen:

  1. Sich mit der Materie auseinandersetzen

Auch wenn der erste Entscheid in Bezug auf Kursrelevanz Ermessensspielraum hat, existieren seitens SIX klare Reglemente und Leitfäden für die weiteren Prozesse. Es gilt, diese zu lesen und zu verinnerlichen sowie Änderungen aktiv zu verfolgen.

  1. Von Anfang an Verantwortlichkeiten bestimmen

Für die Ad-hoc Publizität muss ein Team und klare Verantwortlichkeiten über den ganzen Prozess und Entscheidungsbaum hinweg bestimmt werden. Dabei sollte die oberste Führungsstruktur involviert sein.

  1. Partner sorgfältig auswählen

Da Ad-hoc Publizitätspflichten im Normalfall im Unternehmen nicht häufig auftreten, lohnt es sich, mit Partnern zusammenzuarbeiten, welche mit der Materie vertraut sind. Auch für die technische Lösung des Versandes braucht es einen Partner, der eine höchstmögliche Erfolgsrate aufweist.

  1. Plan B bereithalten

Expect the unexpected! Die beste Technologie und die besten Leute können ausfallen. Diese Szenarien gilt es einzukalkulieren und entsprechend einen Plan B bereit zu halten. Das gilt nicht nur für den Versand der Medienmitteilung und deren Publikation auf der Website, sondern auch deren Hochladen auf der Connexor-Plattform. Was tun, wenn das Login plötzlich nicht mehr funktioniert?

***

Die technische Lösung, Kilian Maier, CEO Interaction Partners

Ad-hoc: Warum dies ein guter Anwendungsfall für Standardsoftware ist

Die Verbreitung von Ad-hoc-Nachrichten eignet sich hervorragend für Nischen-Standardsoftware und automatische Integrationen mit Drittanwendungen.

Hier sind die Gründe:

Klare Regeln – perfekt für Software

Wie oben beschrieben, kann es zu Unklarheiten kommen, ob eine Nachricht als Ad-hoc qualifiziert oder nicht. Ist der Entscheid gefallen, ist der Prozess jedoch klar. Die News benötigt eine Ad-hoc-Flagge (sprachabhängig), die in E-Mails und auf der Homepage angezeigt werden muss. Ad-hoc erfordert ausserdem das Hinzufügen einer zusätzlichen Verteilerliste (nationale und internationale Nachrichtenagenturen, Medien). Ausserdem müssen neue Abonnenten in die richtigen Listen aufgenommen werden und Personen, die sich abmelden, müssen zuverlässig abgemeldet werden. All dies kann vollständig automatisiert werden, und wenn es richtig programmiert, getestet und gewartet wird, wird eine Maschine diese Arbeit besser, schneller und konsistenter erledigen, als es ein Mensch jemals tun könnte.

Datenkonsistenz – «Single Source of Truth»

Ad-hoc Nachrichten müssen mindestens an die SIX, den E-Mail-Verteiler, den zusätzlichen ad-hoc Verteiler und die Homepage des Emittenten verteilt werden. Allenfalls strebt man als Emittent auch noch eine breitere Verteilung über eine internationale Newswire an. Dazu muss die Nachricht separat in die verschiedenen Systeme eingefügt (kopieren und einfügen) werden. Ein solcher Prozess ist sehr fehleranfällig, insbesondere wenn es kurzfristige Änderungen am Text gibt, vielleicht sogar in mehreren Sprachen. Wenn der Emittent jedoch mit einem spezialisierten Anbieter wie schedulR zusammenarbeitet, der die verschiedenen Systeme angebunden hat, gibt es eine ‘Single Source of Truth’, und diese wird über bewährte und belastbare Schnittstellen digital an alle Kanäle verteilt.

Geschwindigkeit ist kritisch

Bei der Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung ist Zeit von entscheidender Bedeutung. Mit spezieller Software und etablierten Schnittstellen ist der Prozess sehr schnell. Newswires und Homepage werden innert 2 Minuten bedient und die meisten E-Mails (> 95 %, oft fast 99 %) werden in dieser Zeit ebenfalls bereits zugestellt.

 


Related Tags:
Top